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Geschichten

Si no tengo que vivirlo, por lo menos tengo que ser capaz de escucharlo. Wenn ich es schon nicht leben muss, dann muss ich wenigstens in der Lage sein, es mir anzuhören. Es ist schon dunkel, wir sind auf dem Weg vom Zentrum zum Bahnhof, als mein Kollege und Freund Leo mir etwa eine halbe Stunde lang Geschichten aus dem Viertel, seiner Kindheit und Jugend und der von anderen erzählt. Es sind Geschichten von schlagenden Brüdern, von Eltern, die aus dem Leben ihrer Kinder verschwinden und nie zurückkehren, von Vätern, die tagsüber irgendwo sind und jeden Abend besoffen nach Hause kommen, von Missbrauch, Diebstahl und Drogen, von gezückten Messern und Pistolen, Schlägereien und Drohungen, von Männern, die im Kreis um einen am Boden liegenden Menschen stehen und “Bring ihn um!” rufen, von der Notwendigkeit, jüngere Geschwister zu verteidigen, von Hunger und Angst und Wegrennen und Verstecken. Ich höre zu und fühle mich nicht in der Lage, auch nur ein Wort dazu zu sagen. Er fragt, ob es mir

Überflutung

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Mustafa Yoda & DJ Manuvers: "El ni ñ o" ("Der Junge") "Er ist neun und hat Schlamm an seinen Füßen, wenn es regnet." [...] Der Herbst ist mittlerweile in Buenos Aires angekommen. Auch wenn es noch Tage gibt, an denen ich meine Jacke ausziehe und in T-Shirt draußen herumlaufe, gibt es jetzt immer wieder richtig kalte Tage und Nächte. Die Temperaturen liegen dabei im Normalfall über 10 Grad, die sich aber durch die hohe Luftfeuchtigkeit deutlich kälter anfühlen als 10 Grad in Deutschland. Und jetzt regnet es seit etwa zwei Wochen ziemlich viel. Die letzten Nächte gab es teilweise auch recht heftige Gewitter. In Quilmes, wo ich wohne, heißt das für mich, dass ich hin und wieder über einen Straßenrand springe und dabei trotzdem nasse Füße bekomme, weil das Wasser nur so vorbeiströmt, dass ich vielleicht mal nachts von einem lauten Donnern aufwache und als geborene Frostbeule ein bisschen unter unseren undichten Fenstern und Türen leide. Wir haben aber mitt

Vier Monate, eine Erkenntnis und keine Lösung

Agarrate Catalina:  "La violencia" - "Die Gewalt" (Übersetzung) "[...] Ich komme von der Müllhalde, die dieses System erschaffen hat. Die Marktregeln haben mich nutzbar gemacht. Ich bin ein Haufen Scheiße, der aus dem Abfluss hochkommt. Ich bin ein Albtraum, aus dem du nicht erwachen wirst. Du verachtest mich, du verpetzt mich, aber zerrissen brauchst du mich. Ich bin Teil eines Handels, den niemand gemacht hat, den aber alle benutzen. Im russischen Roulette bin ich die Kugel, die dich getroffen hat. Ich stamme aus einer Reihe armseligen Elends. Habe eine Seele, die Gift aus einer anderen Generation eitert. [...]" Das ganze Lied mit Musikvideo ( https://www.youtube.com/watch?v=KQHnFMy7lQc ) Ja, dieser Blogartikel hat lange auf sich warten lassen. Das liegt weder daran, dass ich in den letzten Monaten nichts erlebt hätte, noch daran, dass ich keine Lust gehabt hätte, einen neuen Eintrag zu schreiben. Im Gegenteil: Seit ich aus meinem Januarurlaub zurückgek

Diese verdammte WM

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"Plata y miedo nunca tuvimos" "Geld und Angst hatten wir nie" Als ich mich das erste Mal mit der Fußballweltmeisterschaft in Qatar auseinandergesetzt habe, war mir noch gar nicht bewusst, dass sie in die Zeit meines Freiwilligendienstes in Argentinien fallen würde. Also habe ich ziemlich schnell die Entscheidung getroffen, diese WM zu boykottieren. Ich muss dazusagen, dass mir diese Vorstellung aber auch wirklich nicht besonders schwerfiel, so wahnsinnig fußballbegeistert war ich nie. Die Weihnachtsdeko im Hochsommer nahm also langsam zu, es wurden immer mehr argentinische Flaggen aufgehängt und dann kamen die ersten Spiele. Das größte Problem daran, dass ich überhaupt nicht wusste, was bei der WM gerade passiert, war eigentlich, dass meine Kolleg*innen ständig fragten, wie Deutschland gespielt hat, und ich absolut keine Ahnung hatte. Tatsächlich habe ich es erst Tage später mitbekommen, als Deutschland rausgeflogen war - und es hat mich auch nicht besonders traurig

Von Kerzenlicht, Wasserschlachten und Lieblingskolleg*innen

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  WIR HABEN WIEDER STROM! Und ja, das ist eine Neuigkeit, die jede Betonung verdient hat. Den Luxus von elektrischem Licht, einem Kühlschrank, warmem Wasser, Wlan und funktionierenden Steckdosen dürfen ich und meine Mitbewohner*innen nämlich erst seit wenigen Tagen wieder genießen. Nach fast zwei Wochen. Die Hintergrundgeschichte dazu ist etwas kompliziert und ich habe wahnsinnig wenig Lust, euch mit den Details zu nerven, aber ich dachte, eine kleine Meldung in meinem Blog ist es doch wert. Nachdem ich mich jetzt etwas länger nicht gemeldet habe, verspüre ich aus unerklärlichen Gründen einfach den Drang, euch allen mitzuteilen, dass ich zwölf Tage lang in Kerzenlicht mit kaltem Wasser geduscht habe, nachdem ich am zweiten Tag das geschmolzene Eis des Tiefkühlfachs vom Küchenboden aufwischen und am vierten Tag unseren Kühlschrank von seinen vollständig verschimmelten Inhalten befreit habe. Dass ich mich länger nicht gemeldet habe, liegt übrigens daran, dass es mir viel besser geht als

Kulturschock

Ich sitze im Wartebereich eines großen Krankenhauses. Seit einer knappen Stunde. Und ich muss sagen, es sieht anders aus als bei meinem Hausarzt in Montabaur. Verglaste Wände, kleine graue Sofas auf weißem Boden und ein moderner halbrunder, glänzender Thresen, an der Eingangstür Securitypersonal. So habe ich Quilmes bisher nicht kennengelernt, aber ich befinde mich auch in einem privaten Krankenhaus. Es gibt auch öffentliche, kostenlose Krankenhäuser, die aber laut meiner Koordinatorin Rosi häufig schlecht versorgt sind und nicht alle Untersuchungsmöglichkeiten bieten können. Also warte ich jetzt hier, habe vorhin 4900 Pesos (ca. 16 Euro) für die Untersuchung bezahlt, die hoffentlich demnächst beginnt, und frage mich, ob es eine dumme Entscheidung war, Rosi zu sagen, dass ich es alleine versuchen werde. Bisher hätte es schlimmer laufen können, ich bin in nur zwei falschen Gebäuden gelandet und musste - endlich im richtigen Bereich angekommen - den Mann an der Rezeption nur bei drei (de

Endlich WLAN, endlich Bilder und endlich wieder Klopapier!

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 Ist die Zunge abgeheilt, kommt der Sonnenbrand geeilt. Ich saß in dem unerwartet bequemen Sitz des Reisebusses, in dem wir gerade unsere zwölfstündige Rückreise aus San Luis angetreten hatten, als dieses kleine Stück genialer Poesie spontan in mein Gehirn schwebte. Obwohl, wenn ich genauer darüber nachdenke, fiel es mir glaube ich schon etwas früher ein. Vielleicht, als ich gerade auf einem dieser vier brillenlosen Toilettenräder saß, die ich mir mit 60 anderen Frauen teilte, mühsam versuchte, die nicht abschließbare und sich immer wieder von selbst öffnende Kabinentür mit einer Hand zuzuhalten und feststellen musste, dass ich mal wieder vergessen hatte, Toilettenpapier aus unserem Raum mitzunehmen, das ich dann in die überquillende abgeschnittene Hälfte einer Flasche hätte stopfen können, aus der unser improvisierter Mülleimer bestand. Vermutlich setzte dann wenige Sekunden nach dieser literarisch hochwertigen Eingebung die Realisation ein, dass dieses merkwürdig elastische Band, das