Geschichten

Si no tengo que vivirlo, por lo menos tengo que ser capaz de escucharlo.
Wenn ich es schon nicht leben muss, dann muss ich wenigstens in der Lage sein, es mir anzuhören.


Es ist schon dunkel, wir sind auf dem Weg vom Zentrum zum Bahnhof, als mein Kollege und Freund Leo mir etwa eine halbe Stunde lang Geschichten aus dem Viertel, seiner Kindheit und Jugend und der von anderen erzählt. Es sind Geschichten von schlagenden Brüdern, von Eltern, die aus dem Leben ihrer Kinder verschwinden und nie zurückkehren, von Vätern, die tagsüber irgendwo sind und jeden Abend besoffen nach Hause kommen, von Missbrauch, Diebstahl und Drogen, von gezückten Messern und Pistolen, Schlägereien und Drohungen, von Männern, die im Kreis um einen am Boden liegenden Menschen stehen und “Bring ihn um!” rufen, von der Notwendigkeit, jüngere Geschwister zu verteidigen, von Hunger und Angst und Wegrennen und Verstecken. Ich höre zu und fühle mich nicht in der Lage, auch nur ein Wort dazu zu sagen.

Er fragt, ob es mir gut geht.

“Entschuldigung, das war ziemlich roh und brutal, was ich gerade erzählt habe oder?”

“Ja, aber so ist es.”

“Ja.”

“Wenn ich es schon nicht leben muss, dann muss ich wenigstens in der Lage sein, es mir anzuhören.”

Als wir im Zug stehen und ich offensichtlich mit den Tränen kämpfe, sagt er: “Mach dir keine Sorgen, entspann dich, so ist das Leben.”

Und mir fällt nichts anderes ein, als zu antworten: “Ja, aber nicht für alle.”


Kommentare

  1. Liebe Maren, danke für Deine Berichte. Es ist mir sehr Eindrücklich, wie Du beschreibst. Ja, wir sind so reich und können es kaum würdigen. Und dort ist es so elend und schwer für viele Menschen zu überleben. Du hast ein gutes, mutiges Herz. Ich wünsche Dir Alles Liebe. Vielleicht findest Du Deinen Weg, viele Menschen zu erreichen, mich hast du schon erreicht. Bleib dran, viel Erfolg und komm gesund zurück! Ganz ❤liche Grüße Kerstin

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  2. Liebe Maren,
    es ist so essenziell, dass wir uns mit diesen Realitäten beschäftigen und auseinandersetzen. Und du machst das super, indem du so viel davon mit uns teilst inklusive der Gefühle, die sie in dir auslösen. Ich danke dir vielmals dafür!
    Ganz liebe Grüße,
    Luc

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