El colectivo de la esperanza

Meine Zunge tut weh. Ich habe eine Verbrennung auf einer Verbrennung.

Keine Sorge, mir gehts gut, ich trinke nur sehr viel Mate und Mate ist immer zu heiß. Für mich jedenfalls, meine Kolleg*innen sagen immer, es sei Gewöhnungssache, wenn ich sie frage, wie sie dieses viel zu heiße Wasser (durch einen Metallstrohhalm!) trinken können.

Ja, ich habe Kolleg*innen! Und ja, es kommt sogar vor, dass ich es schaffe, ihnen eine ordentliche Frage zu stellen. Nicht oft, aber es kommt vor.

Letzte Woche haben wir uns drei der vier Zentren zusammen angeschaut und mussten uns dann entscheiden, wer von uns in welches geht. Florian hatte diese Qual der Wahl nicht, weil unsere Chefinnen schon vorher entschieden hatten, dass er als Mann in das Zentrum in der unsichersten Umgebung soll. Also sollten Marlen, Angela und ich uns zwischen den anderen drei entscheiden - und hatten alle sehr ähnliche Präferenzen, sodass wir entschieden haben, zu losen. Das haben wir dann am Sonntag Abend gemacht und ich habe das Zentrum "El colectivo de la esperanza" (Der Bus der Hoffnung) gezogen, das tatsächlich auch mein Favorit war, yay! Und nach einigen Besprechungen am Montag ging es dann am Dienstag los mit dem ersten richtigen Arbeitstag. Ein großer Teil - und die Besonderheit - "meines" Zentrums ist die Panadería, also die Bäckerei. Hier werden jeden Vormittag riesige Mengen an süßem Gebäck produziert, das nachmittags an ganz viele Menschen aus dem Viertel verteilt wird, die einfach vorbeikommen können. Vormittags helfe ich also beim Backen, was mir bisher wirklich viel Spaß macht. Wir hören Musik und formen jeden Tag zwischen 300 und 500 Exemplare der Gebäcksorte des Tages. Nachmittags kommen dann an verschiedenen Tagen Kinder unterschiedlicher Altersgruppen, für die alle möglichen Aktivitäten bereitstehen. Backen, kochen, basteln, nähen, spielen, ich habe bisher sicher erst einen winzigen Teil der Workshops gesehen. Die Kinder am Nachmittag sind insgesamt zwischen 5 und 12 Jahre alt und in Gruppen von ungefähr 10 bis 15 Kindern aufgeteilt. Abends - kurz, bevor mein Arbeitstag endet - gibt es dann noch Gruppen von Jugendlichen, die ins Zentrum kommen. Auch ihnen werden Aktivitäten angeboten, oft sitzen sie aber auch einfach zusammen, essen etwas und reden - was bestimmt super interessant wäre, wenn ich etwas davon verstehen könnte. Vor allem die Jugendlichen reden so schnell und undeutlich, dass ich oft danebensitze und tatsächlich kein einziges Wort verstehe.

Aber alle - Kinder, Jugendliche und Kolleg*innen - sind total nett zu mir und meistens fühle ich mich wohl, auch wenn ich minutenlang nichts verstehe oder nicht weiß, was ich gerade machen kann oder soll (und nicht zum 5. Mal in 10 Minuten nachfragen will). Obwohl ich auch merke, dass die Kinder und Jugendlichen zwar Interesse an mir haben, aber eben auch schnell merken, dass es für sie sehr anstrengend ist, sich mit mir zu unterhalten, weil sie alles dreimal wiederholen müssen. Langsam habe ich mehr und mehr das Gefühl, dass das der eigentliche Mehrwert dieses Freiwilligendienstes ist: Die Kinder müssen lernen, auch mit "schwierigen" Menschen wie mir umzugehen, bei denen sie viel Geduld brauchen und mir Dinge immer wieder und wieder erklären müssen. Momentan bringen sie mir tatsächlich deutlich mehr bei als ich ihnen.

Die Sprachbarriere ist schon enorm und bringt viele Herausforderungen mit sich. Neben dem Gefühl, dass ich mich und meine Fähigkeiten kaum einbringen kann, fühle ich mich oft einfach wahnsinnig dumm, wenn jemand etwas zu mir sagt und ich es beim dritten Nachfragen immer noch nicht verstanden habe. Die Menschen müssen mit mir fast umgehen wie mit einem Kind und in dieser Rolle fühle ich mich wirklich nicht wohl. Ich habe immer die höchsten Ansprüche und erwarte von mir, alles perfekt zu machen. Mich dumm zu fühlen, ist eines der schlimmsten Gefühle, das ich kaum ertragen kann. Aber hier ist an Perfektion ja gerade nicht mal im Entferntesten zu denken. Es ist nicht so, dass ich Dinge nicht perfekt verstehen oder sagen kann, sondern ich kann sie oft überhaupt nicht verstehen oder sagen. Und ich ärgere mich sehr häufig darüber. Aber ja, ich weiß, was ihr jetzt alle sagt: Das ist doch toll, dann kannst du das jetzt lernen! Du kannst sowieso nicht in allem perfekt sein, das ist deine Chance, zu lernen, genau damit umzugehen.

Ich versuche, mir genau das einfach auch zu sagen.

Trotzdem hatte ich bisher tolle Tage in meinem Projekt und freue mich umso mehr über Kinder, die mich umarmen, oder die es beim achten Mal tatsächlich schaffen, meinen Namen richtig auszusprechen (Maren fällt allen hier aus irgendeinem Grund wahnsinnig schwer), nur um mich dann am nächsten Tag wieder als Marlen zu begrüßen. Aber dabei haben sie ein breites Grinsen im Gesicht und freuen sich so sehr, sich meinen Namen gemerkt zu haben, dass es einfach unglaublich süß ist.


Achja, und dann war da noch der letzte Freitag. Ich muss ein kleines bisschen ausholen, um die Sache zu beschreiben.

Christina Kirchner ist momentan Vizepräsidentin von Argentinien, war selbst schon Staatsoberhaupt und möchte das mit den nächsten Wahlen auch wieder werden. Und sie ist in der Bevölkerung so wahnsinnig umstritten, dass Menschen sie entweder als Idol verehren oder sie für alles Schlechte im Land verantwortlich machen. Dazwischen gibt es kaum etwas.

Und dieser Christina Kirchner wurde am Donnerstag Abend in einer Menschenmenge vor ihrem Wohnhaus eine Pistole ans Gesicht gehalten und auch abgedrückt, ein technischer Fehler verhinderte aber, dass der Schuss sich löste. Daraufhin rief der Präsident Argentiniens für den darauffolgenden Freitag einen nationalen Feiertag aus und bezeichnete das versuchte Attentat als das wichtigste Ereignis seit Ausrufung der Demokratie nach der letzten Militärdiktatur.  An diesem Freitag gab es daraufhin in Capital (also im Zentrum von Buenos Aires) riesige Demonstrationen direkt vor der Casa Rosada, dem Regierungsgebäude von Argentinien - und damit auch direkt vor Esmeralda, unserer Unterkunft. 

Ich will hier gar nicht auf Nachrichtensendung machen, aber soweit ich es mitbekommen habe, haben deutsche Nachrichtensendungen kaum oder gar nicht über diesen Vorfall berichtet. Klar, ich wusste in Deutschland auch nie, was in Argentinien gerade so abgeht. Um unseren Freitag zu beschreiben, ist dieses Ereignis aber sehr prägend. Denn unser Freitag hat sich ganz komisch angefühlt. Wir gingen alle nicht zur Arbeit - es war ja Feiertag - und in einer E-Mail unserer Koordinatorin über die aktuelle Situation richtete sie sich explizit an die Esmeralda-Freiwilligen mit der Aufforderung, das Haus nicht zu verlassen, weil es gefährlich werden könnte. Wir saßen also in unserer Wohnung, wussten weder etwas mit uns anzufangen, noch, was dieser Tag nun für dieses Land und für uns genau bedeutete, und lauschten dem nicht zu überhörenden Gesang, den Trommeln und dem Knallen der Rauchbomben. Es fühlte sich wieder ein bisschen an wie Lockdown: An sich freuten wir uns ja über den freien Tag, aber etwas unternehmen oder erledigen konnte man ja auch nicht.

Mir ging an diesem und auch den darauffolgenden Tagen oft der Gedanke durch den Kopf, wie merkwürdig es ist, dass unser Tag so heftig von dieser Situation geprägt war, während fast die gesamte restliche Welt nicht einmal von ihr wusste. 

Nach dem Aufstehen erwartete ich Nachrichten aus Deutschland, die besorgt fragen, was denn da genau los ist und ob es mir gut geht. Bis mir dann auffiel, dass es durch die Zeitverschiebung keine deutsche Zeitung geschafft haben konnte, schon am Freitag über den Vorfall zu berichten, und er auch zu jeder anderen Uhrzeit in Deutschland nicht mal eine kurze Nachricht wert gewesen wäre.


Soviel also zu den aktuellen Ereignissen und Gedanken in meinem Leben.

Ich werde weiterhin versuchen, auf meiner Arbeit soviel wie möglich zu reden, auch wenn dabei keine wahnsinnig intelligenten Sätze herauskommen. Aber das sagen ja immer alle: "Ja du musst halt einfach machen und drauf los reden und dann kommt das schon von ganz alleine." Ich sitze also quasi im Bus der Hoffnung und warte auf diesen Moment, an dem das ganz von alleine kommt.



Kommentare

  1. Liebe Maren,

    danke für die unterhaltsame Abendlektüre und die Nachrichtensendung aus Argentinien.
    Unser Tipp per Ferndiagnose (besonders bzgl. Sprachbarriere): Bleib locker, sei geduldig und genieße.

    Anika und Jonas

    PS: Mikas dritter Zahn ist da :)

    AntwortenLöschen
  2. Stimmt, ich habe von dem Vorfall hier nichts mitbekommen...und du steckst mittendrin! Was für'n heftiger Widerspruch.
    Ich bin mir sicher, dass du in einem halben Jahr über die anfänglichen Sprachschwiergkeiten schmunzelst, aber grad fühlt es sich verständlicherweise nicht gut an.
    Ich habe volles Vertrauen in dich, meine Lieblingstochter!
    Take it easy, wie der Franzose sagt.
    LG
    Uwe

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hallo Maren,
      Newton hat schon festgestellt, das unser Wissen einem Tropfen im Ozean gleicht. Vielleicht hilft Dir das ein wenig.
      Opa B.

      Löschen
  3. MarenMaren,
    wie immer war es eine Freude, deinen so wundervoll formulierten Gedanken zu folgen. Du wirst es schon oft gehört haben, aber ich nerve dich auch nochmal damit (viel hilft dabei vielleicht viel?): Lass den Kopf nicht hängen. Das mit der Sprache wird von ganz allein kommen! Und was Mate betrifft, halte durch - auch unsere Kartoffelzungen können sich daran gewöhnen! :D
    Liebe Grüße
    Eliss

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Geschichten

Vier Monate, eine Erkenntnis und keine Lösung

Überflutung