Sprachkenntnisse und ein bisschen Philosophie

In meinem Leben wurde bisher noch nie etwas in einer so hohen Frequenz gestärkt und erschüttert wie mein Vertrauen in meine Spanischkenntnisse in den letzten zweieinhalb Wochen.

Für unsere Einführung ins Castellano (so nennt man das in Lateinamerika gesprochene Spanisch) während des Seminars wurden wir in vier Gruppen eingeteilt und ich bin in der dritten gelandet. Das heißt quasi B1-Niveau, was mich sowohl wahnsinnig überrascht als auch wahnsinnig gefreut hat. Meine Bemühungen und die stundenlangen oft etwas einsamen Lerneinheiten zu Hause hatten sich also richtig gelohnt! Ich kam in diesem Kurs sehr gut klar, verstand das meiste von dem, was unsere "Lehrerin" uns - ausschließlich auf Spanisch - erklärte und konnte viele meiner Fragen zumindest so formulieren, dass einigermaßen verständlich wurde, was zum Teufel da in meinem Kopf vorging. In Restaurants oder in anderen Unterhaltungen konnte ich manchmal sogar Anderen helfen, die weniger Spanisch konnten als ich und es kam vor, dass hilfesuchende Blicke unserer Gruppe immer mal wieder bei mir landeten, auch wenn ich sie längst nicht immer mit tatsächlicher Hilfe beantworten konnte. Trotzdem, ich war wirklich stolz auf mich. Und das bin ich auch immer noch!
Aber ganz so einfach ist es leider doch nicht. Vielleicht kennen das einige von euch mit Englisch: Man beherrscht die Sprache eigentlich ganz gut, aber sobald man sie in einem echten Gespräch anwenden muss, fallen einem plötzlich die einfachsten Worte nicht mehr ein und der korrekte Einsatz von Zeiten oder Satzstrukturen ist nur noch ein völlig abstraktes Konzept, das man eigentlich sofort in die Tonne werfen kann. So fühlt sich das gerade an - nur, dass selbst mein "ideales" Spanisch schon relativ eingeschränkt ist.
Ich habe mich gestern mit Rami getroffen, einem Argentinier, den ich am Freitag auf einer Feier kennengelernt habe - Mama, Papa, keine Sorge: Ich will ihn nicht heiraten und für immer hier bleiben, wir haben einfach nur einen netten Nachmittag miteinander verbracht und er hat mir ein paar schöne Orte gezeigt, versprochen!!!
So, wo war ich? Wir haben uns also getroffen. Und ich würde behaupten, dass ich grundsätzlich nicht wahnsinnig schlecht darin bin, Menschen kennenzulernen, Smalltalk zu führen und ein interessantes Gespräch aufrechtzuerhalten. Diese Behauptung muss ich nach meiner gestrigen Erfahrung aber ganz eindeutig einschränken: Ich bin ganz gut in solchen Gesprächen, wenn sie auf Deutsch stattfinden.
Mein Sonntagnachmittag bestand darin, zuzuhören. Viel zuzuhören. Ich glaube, ich habe den Ausdruck "aah, si" in diesen paar Stunden mindestens doppelt so häufig benutzt wie in meinem gesamten vorherigen Leben. Rami ist Gott sei Dank ein wirklich lieber Typ und hat es den ganzen Nachmittag lang durchgezogen, mir alles Mögliche über die Geschichte des Landes, verschiedene Orte und sich selbst zu erzählen, wofür ich ihm sehr dankbar war. Ich habe eigentlich immer verstanden, worum es geht und meistens bekam ich auch ganz gut mit, was er tatsächlich erzählt hat. Um das zu erreichen, musste ich mich aber dermaßen konzentrieren, dass ich nicht auch noch im gleichen Moment darüber nachdenken konnte, ob ich das gerade interessant finde und welche Nachfrage an dieser Stelle denn jetzt passend wäre - die ich dann natürlich auch noch auf Spanisch hätte formulieren müssen. Aber bis zu dieser letzten Herausforderung bin ich meistens gar nicht erst gekommen.
Das klingt jetzt sehr negativ, ich muss kurz klarstellen, dass es wirklich ein schöner Nachmittag war! Aber mit mir war danach nicht mehr viel anzufangen und hätte man an diesem Abend einen Gehirnscan an mir durchgeführt, wäre wahrscheinlich nur noch eine vollkommen leere Wüstenlandschaft zu sehen gewesen - weder spanische noch deutsche noch generell sinnvolle Gedanken in greifbarer Nähe. Obwohl Marlen, die mit mir in einem Zimmer schläft, mir heute morgen erzählt hat, dass ich wohl bisher jede Nacht im Schlaf geredet habe und gestern auch ein paar spanische Sätze dabei waren. Das finde ich wahnsinnig faszinierend, ansonsten war es für mich aber eher frustrierend, so wenig beitragen zu können. Ich unterhalte mich gerne, ich mache gerne dumme Sprüche, ich nutze gerne Ironie, ich spiele gerne mit Sprache und ich bin auch gerne - wenn ich das mal so selbstverliebt sagen darf - ein ganz kleines bisschen charmant. Und gestern habe ich es mit Mühe geschafft, in einem einzigen dahingestammelten Satz auf Ramis Fragen zu antworten.
Ich weiß nicht, ob es nur meine etwas zur Dramatik neigende Ader ist, aber bei mir warf das sofort total philosophische Fragen auf: Was macht mich denn eigentlich aus, wenn ich über das, was mich ausmacht, nichts erzählen kann? Wieviel vom eigenen Charakter kann man eigentlich rüberbringen, wenn man kaum etwas sagen kann? Denkt Rami jetzt, dass ich ein super schweigsamer Mensch bin? Ich würde ihn ja gerne fragen, aber leider habe ich nicht die leiseste Idee, was schweigsam auf Spanisch heißt. Vielleicht sollte ich mich erstmal auf die einfachen Vergangenheitsformen und ein paar Alltagsvokabeln konzentrieren, bevor ich mich an die großen Themen der Philosophie wage...
Mit denen - also den großen Themen der Philosophie - lasse ich euch jetzt auch erstmal alleine und möchte noch kurz von meinem ersten "Arbeitstag" und unserer aktuellen Situation berichten. Ich fasse mich auch kurz, ehrlich!
Warum die Anführungszeichen? Weil wir nicht gearbeitet, sondern hauptsächlich gegessen haben. Alle Mitarbeiter/innen, die wir kennengelernt haben, waren super nett und haben uns viel erzählt. Und wir konnten viele Fragen stellen. Ich weiß übrigens nicht, ob das etwas zu unrealistisch ist, aber ich hatte das Gefühl, dass ich mich heute schon ein winziges bisschen besser ausdrücken konnte als gestern, zumindest konnte ich meine Fragen ziemlich gut formulieren - glaube ich. Danach haben wir uns auch noch mit einigen Kindern im Zentrum unterhalten - oder es zumindest versucht. Unsere mittelmäßigen Spanischkenntnisse und die Tatsache, dass die Kinder alle 13 waren, haben jedoch eher dazu geführt, dass wir verzweifelt versucht haben, unser Interesse an ihnen zum Ausdruck zu bringen, das Ganze auf ihrer Seite aber hauptsächlich zu sehr viel Gekicher geführt hat.
Der Plan ist, dass wir uns diese Woche alle vier Zentren des Projektes jeweils an einem Tag anschauen und dann am kommenden Montag besprechen, wie wir uns aufteilen, wer also in welchem Zentrum arbeiten wird. Und wenn wir Glück haben und alles nach Plan läuft, können wir sogar am Samstag in unsere Wohnung einziehen!
Soviel also zu heute. Falls ihr irgendwelche spannenden Ideen zu meinen philosophischen Ergüssen habt, schreibt sie mir gerne, und wenn ihr sie bescheuert findet, verstehe ich das auch sehr gut.



Kommentare

  1. Dein Eintrag lässt mich zwischen Schmunzeln und Rührung empfinden... ganz sicher hat dich ein ganzer Nachmittag spanischer Unterhaltung so viel weiter gebracht, dass du es "im Schlaf" sprichst und AM NÄCHSTEN TAG schon viel besser Fragen stellen kannst! Aber ich kann gut verstehen, dass es sich unangenehm anfühlt, sich selbst nicht ( in Worten) ausdrücken zu können.
    Wünsche dir interessante Begegnungen in dieser Woche und dass ihr leicht euer "passendes"
    Zentrum findet und eure Entscheidungen treffen könnt. :-)

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  2. Hallo Maren!
    Deine philosophische Gedanken sind gar nicht mal so abwägig. Dadurch, dass ich bilingual aufgewachsen bin, konnte ich den Humor meiner Verwandten auf ihrer Muttersprache immer gut nachvollziehen. Wenn jedoch Freunde bei mir zuBesuch warrn, haben sie meine verwandten entweder schlecht verstanden oder gedacht, dass sie verwirrt sind, weil sie Deutsch und Russisch immer mischen und der Witz dann nicht wirklich rüber kommt!
    Ich bin mir aber sicher, dass wenn du jetzt tagein, tagaus Spanisch hörst und sprichst, dein Spanisch sich stetug verbessern und dein Charme immer mehr hindurchkommen wird :)
    LG aus Minga

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  3. Hey Maren, ich glaube, wenn du diesen Eintrag in ein paar Monaten nochmal liest, wirst du selber mal mindestens einen Mundwinkel nach oben ziehen und dir denken "Jap, stimmt. Krass, dass es mal so war."
    Philosophisch komm ich nicht ganz an dein Level ran, aber ich würde mal die These aufstellen, dass du jetzt schon zu dem besten deutschen 10% gehörst, was Spanisch sprechen angeht. Und selbst wenn du als schweigsam Mensch rüber kommst...irgendwem müssen die nicht schweigsamen Menschen ihre Stories ja auch erzählen können!
    VG und viel Erfolg mit den Kiddies!
    Paul

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  4. Hallo Maren,wenn
    Du wirst es inzwischen gemerkt haben: mit der Zeit wird es immer besser mit den Sprachkünsten! Besonders wenn Du anfängst, dpanisch zu denken.
    Wenn Vokabeln fehlen, umschreibe das mit bekannten Worten das wirkt dann auch "lebendiger".
    Opa B.

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  5. Liebe Maren, wenn ich dich so vor mir sehr, hast du für mich immer eine besondere Sprache, das Theater. Das ist international und lachen geht auf der ganzen Welt gleich. Hab Mal sehr erfolgreich einem Baum gespielt, der ist sicher auch in Spanisch mit vielen Ästen und wackelt im Wind. Hab viel Spaß. Gabi

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