Esmeralda

Ich sitze gerade mit meinem Laptop auf unserer neuen Terrasse, schaue hinter mir auf ein brandneues glasverkleidetes Hochhaus, vor mir auf ein noch höheres, zu zwei Dritteln glasverkleidetes Hochhaus, wenn ich mich ein kleines Stück vorlehne, sehe ich unseren üppig mit Pflanzen bestückten Innenhof und wenn ich aus dem Tor vorne rausgehe, blicke ich nach wenigen Schritten und einer Straßenecke direkt auf den Obelisken, das Wahrzeichen im Herzen von Buenos Aires.

"Esmeralda" ist für Angela, Marlen, Florian und mich eine Zwischenstation. Durch die unglaublich hohe Inflation ist der Wohnungsmarkt in Buenos Aires sehr komplex und viele Vermieter warten lieber auf den Sommer, um ihre Wohnungen dann wesentlich teurer vermieten zu können. Dazu kommt natürlich noch, dass die wenigsten Vermieter Luftsprünge machen, wenn sie hören, dass ihre zukünftigen Mieter vier junge Ausländer sein sollen, die nur ein Jahr lang bleiben. Und wir sollen nun doch nicht direkt in Florencio Varela wohnen, wo wir arbeiten werden, da es momentan einfach nicht sicher genug ist, um unseren gesamten Lebensmittelpunkt dort aufzubauen. Stattdessen werden wir wahrscheinlich nach Quilmes ziehen, ein angrenzendes Viertel, das für seine große Brauerei bekannt ist, deren Bier hier überall getrunken wird. Auch nicht schlecht. Deshalb war aber eben die Wohnungssuche für unsere Organisation sehr schwierig und wir müssen noch mindestens 10 Tage hier in Esmeralda wohnen.

Esmeralda ist eine Kirche mit Wohnungen, in denen auch während des Vorbereitungsseminars schon ein Teil unserer Gruppe untergekommen ist. Von denen ist gestern der Großteil ausgezogen und zu den jeweiligen Einsatzstellen gereist und wir sind neu eingezogen. Wir sind in unserer WG jetzt neun Freiwillige und zwei weitere junge Frauen, die dauerhaft hier leben. Und wir befinden uns in "Central", also der tatsächlichen Innenstadt von Buenos Aires. Und das merkt man. Die Wohnung hier ist ein unfassbares Upgrade zu Ballester, wo ich vorher geschlafen habe. Es gibt hier sogar richtige Betten! Okay, man muss dazusagen, es sind Stockbetten ohne Leiter, was bedeutet, dass die Obenschlafende relativ kompliziert zu ihrem Schlafplatz klettern muss. Aber ich konnte mir einen Platz unten sichern. Wir haben außerdem einen Schrank in unserem Viererzimmer, das heißt, ich kann endlich mal ein paar Sachen aus meinem Koffer auspacken, der jetzt zwei Wochen lang als mein einziger Aufbewahrungsort für alle meine Sachen herhalten musste. Die Heizöfen funktionieren einfach und zuverlässig, wir bekommen heute sogar einen Wasserkocher und eine Waschmaschine, wir haben zwei Kühlschränke und im Gegensatz zu Ballester einfach viel mehr Platz.

Der gestrige Tag hieß aber natürlich auch ziemlich viel Abschied. Ich hätte im Vorhinein niemals daran gedacht, dass das Ende des Vorbereitungsseminars irgendwie problematisch werden könnte, aber zwei Wochen mit Menschen auf engstem Raum zusammenzuleben und zu -schlafen, schweißt einfach wahnsinnig zusammen. Ich habe die meiste Zeit mit den Mitfreiwilligen verbracht, die von der gleichen Entsendeorganisation kommen wie ich, wir kannten uns also schon von unserem Seminar in Deutschland. Und eigentlich haben wir so ganz objektiv betrachtet in unserem gesamten Leben gerade einmal drei Wochen physisch miteinander verbracht, aber es waren eben ziemlich intensive Wochen, wir kamen von Anfang an unglaublich gut miteinander klar und hatten wirklich eine großartige Zeit, sowohl in Hannover, als auch vor allem hier in Buenos Aires. Von ihnen bleibt aber außer mir nur eine überhaupt im Großraum der Stadt, alle anderen durften den gestrigen Tag stundenlang in Reisebussen verbringen. Wir werden uns also erstmal nicht mehr sehen und das hat mich sehr traurig gemacht. Und auch heute, einen Tag später, denke ich ständig daran, dass es einfach sehr schade ist, Menschen so schnell so intensiv kennenzulernen, so sehr auf einer Wellenlänge zu sein und so viel Spaß zusammen zu haben, um sich dann so schnell wieder verabschieden zu müssen.

Falls das jemand von euch liest, ihr wisst, wer ihr seid: Ich vermisse euch wahnsinnig, ihr seid großartige Menschen und ich freue mich jetzt schon so sehr darauf, euch hoffentlich beim Zwischenseminar wiederzusehen!

Jetzt gewöhne ich mich also wieder an andere Menschen. Und auch das ist natürlich irgendwie schön und aufregend, vor allem, weil drei von ihnen noch 11 Monate lang meine Mitbewohner/innen sein werden. Aber wir hoffen alle sehr darauf, möglichst bald in unsere endgültige Wohnung ziehen zu können und einfach anzukommen. In diesem Land, in dieser Stadt und in einem Zuhause. Leider sitzen wir vier "Angelellis" (also die, die bei der Fundacion Angelelli arbeiten) gerade auch noch auf ziemlich heißen Kohlen, weil wir immer noch sehr wenig über unsere Einsatzstelle wissen, nicht mal, ob morgen oder am Montag unser erster Arbeitstag sein wird. Und eben auch nicht, wer von uns in welchem der vier Zentren arbeiten wird. Ich bin also sehr gespannt auf die kommenden Tage und Wochen, in denen sich so Vieles entscheidet, das dieses Jahr ausmachen wird.

Gerade sind wir auch total überfordert mit der Perspektive, drei oder sogar vier Tage frei zu haben, wir wissen überhaupt nicht, wie wir damit umgehen sollen! Zwei Wochen lang hatten wir jeden Tag Programm und kaum Freizeit und jetzt können und müssen wir auf einmal völlig frei entscheiden, was wir den ganzen Tag lang machen wollen. Dazu kommt, dass wir uns ja noch überhaupt nicht auskennen und nicht wissen, was man hier so machen kann, wir sind also dabei, genau das herauszufinden. Und ein bisschen entspanntes Nichtstun tut uns allen auch sehr gut nach dieser anstrengenden Anfangszeit.

Ich habe mir vorgenommen, gleich noch ein bisschen Spanisch zu lernen, damit ich meinen Kolleg/innen vielleicht auch irgendwann mal von etwas erzählen kann, das in der Vergangenheit liegt. Und ansonsten versuche ich erstmal, mich hier so gut es geht einzuleben, auch wenn es nur eine Zwischenstation zu allem ist, was dann kommt.



Kommentare

  1. Hallo Maren, ich finde es beeindruckend, was du alles.meisterst. im fremden Land, in fremder Sprache und mit fremden Leuten. Alles.wird irgendwann vertraut. Viiiiel Spaß von der Tante Gabi

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  2. Hallo Maren, mit Spannung habe ich mir Deinen Bericht vorlesen lassen. Für mich klingt das alles sehr spannend, was Du erlebst. Als ich zwischen den tollen Bergen hier in der Schweiz gelaufen bin, dachte ich fest an Dich. Wünsche Dir weiterhin alles Gute, Deine Omma. Hab dich lieb

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